VI. Die letzte Redaktion des Fotoalbums

Zuerst war es unerlasslich, den (wenn auch unbedeutenderen) Teil der bosporanischen Fotosammlung in Ordnung zu bringen, der 1998 in der Abteilung fur Antike geblieben war, bis sich der in Deutschland befindende Fotosatz auf Vorschlag des Gruppenleiters bzw. der Direktion im Januar 1999 wieder an das Historische Institut zuruckgegeben worden war. Zwar wurde, wie wir bereits sahen, die Arbeit zur Systematisierung der Sammlung in den 40er und 50er Jahren durchgefuhrt und zu Beginn der 90er Jahre von Levinskaja und Tochtas'ev wieder aufgenommen, jedoch gab es fur die Fotothek immer noch kein Verzeichnis. Die in der vorangegangenen Etappe durchgefuhrte Synthese der gro?en Masse an Sammlungen des SPb I.I. und des IIMK schuf zudem Probleme, da zu Beginn des Jahres 1999 die Menge an Kopien der bosporanischen Fotomaterialien im Historischen Institut merklich zugenommen hatte. Deshalb musste die Arbeit zur Identifizierung und Nummerierung (die zu verschiedenen Teilen der Sammlung schon mehrmals von unterschiedlichen Kollektiven durchgefuhrt wurde) wieder zusatzlich zu dem vorher noch nicht verarbeiteten Teil des Materials neu begonnen werden. Die im IIMK angefertigten "Kontrollabzuge" der neuen Negative, die ungefahr 2000 Fotos aus der Sammlung der LO I.I. umfassen, hatten namlich keine Corpusnummern und waren (im Unterschied zu den alten Fotosatzen) uberhaupt nicht systematisiert. Au?erdem konnte man sich nicht sicher sein, dass in dieser unerforschten Masse von KBN-Fotoillustrationen mit einer Vielzahl von uberflussigen Repliken nicht vielleicht auch solche anzutreffen sind, die selbst im vollstandigsten Fotosatz fehlten.

Fur die Vervollstandigung des Hauptexemplars des Corpus mit Illustrationen gab diese Arbeit zwar nicht viel her, lediglich einige in ihm fehlende Aufnahmen sowie solche, die sich fur eine Veroffentlichung besser eigneten. Wesentlich war vielmehr, dass man nun dank des leicht uberschaubaren Verzeichnisses aller im Institut fur Geschichte vorhandenen Abzuge alle Varianten von Abbildungen berucksichtigte, durch die jeder Text des KBN illustriert werden konnte. Am wichtigsten war schlie?lich, dass man ein Verzeichnis aufstellte von dem, was in dieser reichen, aber nicht vollstandigen Fotothek fehlte. An dem Verzeichnis und den zusatzlichen Listen zu unterschiedlichen Teilaspekten des Materials arbeiteten von 1999-2001 A. V. Karlin (damaliger Doktorand des PFIRI), E. A. Druzinina und D. V. Kejer (damals Studenten der SPbGU). Im Dezember 2001 wurde dieser Fotosatz mit dem Verzeichnis bei der ZES PFIRI eingereicht und die Sammlung Nr. 58 gebildet.

Am Ende des Jahres 2001 gab es in dem Hauptsatz der Institutssammlung nach Berechnungen der heutigen Redaktion Fotoaufnahmen zu 919 Inschriften und Negative zu 438 Inschriften.[128] Von 52 dieser Negative gab es zu diesem Zeitpunkt im Hauptexemplar, wie sich herausstellte, keine Abzuge. Daneben fand man unter den Negativen auch Wiedergaben von hochster Qualitat, die besser waren als die Abzuge von den Negativen. Wenn man die Fotos der Steine und Abklatsche zusammenzahlt, aber die Zeichnungen und die Fotos von gedruckten Texten[129] unberucksichtigt lasst, umfasste das Archivexemplar des Historischen Instituts gegen Ende des Jahres 2001 insgesamt Illustrationen zu 971 KBN-Inschriften.

Noch im Juni 1999 organisierte die Arbeitsgruppe der Bibliotheca Classica Petropolitana ein fur die Inschriftenbeschaftigung wichtiges Seminar zur Herstellung von Abklatschen unter der Leitung von Prof. Dr G.-J. te Riele – eines bekannten Inschriftenkenners und niederlandischen Schulers von L. Robert. Neben seinen Vorlesungen fuhrte te Riele auch praktische Ubungen zur Herstellung von Abklatschen in der Steinsammlung der Eremitage durch.[130]

Die Teilnehmer dieses Seminars vertieften darauf ihre Kenntnisse in den Museen, die bosporanisches Material beherbergen, zuerst in Kerc und vor allem im Suden Russlands. Zwischen dem SPb I.I. auf der einen und dem Staatlichen Kercer Architektur- und Archaologie-Museumspark (Direktor P. I. Ivanenko) auf der anderen Seite wurde ein Ubereinkommen getroffen, das es N. A. Pavlicenko (SPbGU / SPb I.I.) als Kennerin der russischen und ukrainischen archaologischen Museen und mit ihr A. V. Karlin, E. A. Druzinina, D. V. Kejer und S. E. Andreeva ermoglichte, sich im Sommer 1999 und 2000 mit dem dortigen Material bekannt zu machen. Die Teilnehmer untersuchten Denkmaler, fotografierten einzelne Inschriften oder fertigten Abklatsche von ihnen an – in dieser Zeit wurden an die 40 Abklatsche von 36 Inschriften angefertigt. Von diesen Abklatschen wurden damals auch Fotos gemacht, davon wurde aber – aufgrund des heutigen Zustands der Steine – sehr wenig in das KBN-Album eingefugt.[131] Diese Versuche zeigten den Teilnehmern deutlich, dass es heute in den wenigsten Fallen gelingt, Abbildungen anzufertigen, die mit der Qualitat der alteren vergleichbar sind,[132] selbst wenn diese nicht perfekt sind oder im Laufe der Zeit beschadigt wurden. Dies hangt selbstverstandlich mit dem heutigen Zustand der Denkmaler zusammen.

Im Kercer Museum wurden auch die Inventarnummern der Kercer Steinsammlung aufgenommen. Einige Denkmaler konnten aus technischen Grunden nicht untersucht werden.[133] In drei archaologisch-epigraphischen Sommerpraktika unter der Leitung von N. A. Pavlicenko mit Studenten der Philologischen Fakultat der Petersburger Universitat wurde die Untersuchung der Inschriftendenkmaler in Kerc, Anapa, Krasnodar, Taman und Temrjuk fortgesetzt.

Hiermit enden die vorbereitenden Arbeiten der Teilnehmer am Inschriftenprojekt der SPb I.I. und der Bibliotheca Classica Petropolitana.

Fur die Druckvorbereitungen des Albums wurde ein Forschungs- und Redaktionskollektiv gebildet. Hier sind als hauptsachliche wissenschaftliche Redakteure des Bandes N. A. Pavlicenko und D. V. Kejer zu nennen. Uber die Aufgaben sowie die ausfuhrenden Personen wird in dem Abschnitt Aus der Redaktion berichtet.

Die Geschichte der Entstehung und Systematisierung der Fotosammlung der bosporanischen Inschriften wird in der Tabelle am Anfang des Bandes vorgestellt. Dort werden die der Redaktion bekannten Personen, die an dieser jahrzehntelangen Arbeit beteiligt waren, genannt. Die Bedeutung der letzten Redaktion des KBN-Albums bestand in der Vervollstandigung, endgultigen Druckvorbereitung und Ausgabe der gesammelten fotografischen Abbildungen, die das Ergebnis langer kollektiver Anstrengungen von Mitarbeitern einiger Akademieinstitute sind.

Die hier dargestellte Geschichte der Beschaftigung mit dem illustrativen Teil der bosporanischen Inschriften lehrt vor allem, dass eine an sich schon schwierige Aufgabe nicht noch durch neue umfangreiche und arbeitsintensive Plane (auch wenn diese sehr erwunscht sind) erschwert werden sollte, und dass es angebracht ist, sich entsprechend zu beschranken, wenn man das Hauptziel, im vorliegenden Fall die Veroffentlichung des bosporanischen Fotoarchivs, das sich in vielen Jahrzehnten entwickelt hat, erreichen mochte. Da die Ausgabe der KBN-Illustrationen nicht als Grundlage von langfristigen Projekten abhangig gemacht werden sollte (sei es z.B. eine Veroffentlichung der Fotos aller bis heute bekannten bosporanischen Inschriftendenkmaler oder sogar eine Neuausgabe des ganzen aktuellen Corpus der bosporanischen Inschriften, die sowohl an Vollstandigkeit als auch an wissenschaftlicher Genauigkeit den Corpus von 1965 ubertreffen wurde), hofft die Redaktion mit der Ausgabe des Bandes, die den alten KBN als Edition vervollstandigen soll, allen Forschern des antiken Bosporus ein nutzliches Instrument vorzustellen, denn wie die regelma?ig durchgefuhrten Veranstaltungen "Bosporanisches Phanomen" zeigen, liegen diese Forschungen in den letzten Jahren im Aufwind.


[128] Ein Teil dieser Negative wurde wohl von Levinskaja und Tochtas'ev gesammelt, woruber schon im letzten Kapitel berichtet wurde. Der Rest wurde zwischen den Papieren und Materialien der Abteilung fur Antike der PFIRI gefunden.
[129] Vorhanden waren auch Wiedergaben von Inschriftentexten in einer konventionellen Schrift zu 200 Inschriften, die aber von der Redaktion wegen ihres ungenugenden Dokumentationswertes fur das Album nicht berucksichtigt wurden.
[130] Danach besuchte G.-J. te Riele die Bibliotheca Classica noch zweimal: im Mai 2000 gab er einen kurzen Vorlesungszyklus zur griechischen Epigraphik, und im Sommer 2002 fuhrte er ein Seminar zum Thema durch, wie Inschriftentexte zu kommentieren sind.
[131] Fur das KBN-Album war nur der Abklatsch von Nr. 319 zu gebrauchen; die restlichen waren von der Qualitat schlechter als die alten Fotos der Abklatsche.
[132] So nahm der beim IAK angestellte Fotograf I. A. Cistjakov die Abklatsche nicht von der Seite auf, die im Kontakt mit dem Stein war; trotzdem sind seine Negative wegen ihrer hohen Qualitat und Abbildung des Zustands der Denkmaler besser.
[133] Die Kercer Steinsammlung litt besonders wahrend des Zweiten Weltkrieges und musste in der neuesten Zeit einige fur die Denkmaler au?erst schadliche Umzuge uber sich ergehen lassen. Ein positives Anzeichen fur ihre Renaissance ist die vor kurzem erschienene Ausgabe der Serie Aus der Sammlung des Kercer Staatlichen Historisch-Kulturellen Museumsparks. Die Steinsammlung. T. 1: Die Antike Skulptur. (russ.) Kiew 2004.